Lieber großartig statt groß! – Freiweg
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Lieber großartig statt groß!

Manchmal ist es nur eine Kleinigkeit, im Bruchteil einer Sekunde wahrgenommen, die alles über eine Situation aussagt.

In den 90er-Jahren besuchte ich gemeinsam mit meinem damaligen Chef eine Kleinstadt in der Nähe von Nizhny Novgorod in Russland. Ein deutscher Konzern hatte dort ein Kombinat samt Papierfabrik übernommen und brauchte Hilfe bei der internen PR.

Deutsche Gründlichkeit stieß auf russische Arbeiterkultur. Die Unternehmensleitung versuchte unermüdlich nach Lehrbuch ein Unternehmen hoch zu ziehen. Die Mitarbeiter standen dem Bemühen verständnislos gegenüber. Rund 400 Kilometer östlich von Moskau hätten die Weltanschauungen nicht weiter auseinander liegen können.

Ohne Sinn geht es nicht.

Die Mitarbeiterin, die vorher die Parteilinie über die Betriebszeitung den Mitarbeitern eingetrichtert hatte, war kurzerhand zur Verantwortlichen für interne PR erklärt worden.

Sie musste zwischen einer Welt vermitteln, die sie nicht verstand, und einer, die es nicht mehr gab. Sie erschien täglich zur Arbeit, bloß machte es für sie keinen Sinn mehr.

Ihr Büro war in einem heruntergekommenen Haus, ihr Schreibtisch wurde von mehreren Schichten Lack zusammengehalten. Und dann war da die Garderobe. Sie bestand aus einem einfachen Brett auf dem ein einziger Haken an einer lockeren Schraube baumelte.

Unternehmenskultur

Nichts hätte die Gesamtsituation besser symbolisieren können. Ich habe damals in diesem Büro ein für alle mal begriffen: Der Mensch sucht nach Orientierung, Sinn und Wert. Wenn die Unternehmenskultur sie nicht bietet, geht das für beide Seiten schlecht aus.

Heute arbeite ich hauptsächlich mit Klein- und Mittelbetrieben. Interessant wird es immer dann, wenn ich Mitarbeiter treffe, die trotz aller Herausforderungen mit ungebrochener Begeisterung von ihrer Tätigkeit erzählen.

Ein Blick hinter die Kulissen offenbart dann zumeist ein außergewöhnliches Mikroklima, in dem sie sich entfalten konnten. Was diese reale Qualität ausmacht, ist nicht einfach in Worte zu fassen.

Großartig statt groß

Zu diesem Schluss kommt auch Bo Burlingham in seinem Buch „Small Giants: Companies That Choose to Be Great Instead of Big“, in dem er eine Reihe solcher Unternehmen beschreibt, die, wie er es nennt, ihr eigenes “Mojo”, ihren eigenen Zauber entwickelt haben. 

Er bezeichnet sie als Small Giants nicht aufgrund der Mitarbeiterzahl, sondern aufgrund der menschlichen Größe und einer Unternehmenskultur, die nicht einseitig am wirtschaftlichen Wachstum orientiert ist.

Sie haben sich bewusst dazu entschlossen, großartig statt groß zu sein.

Die Unternehmen, von denen er erzählt, sind ganz unterschiedlich, jedoch in einigen Punkten gleichen sie sich:

  • Bei der Gestaltung des Unternehmens orientieren sie sich konsequent an persönlichen Werthaltungen.
  • Sie setzen sich mutig über den enormen gesellschaftlichen Druck und die Erwartungshaltung hinweg, dass allein wirtschaftlicher Erfolg zählt.
  • Sie pflegen Beziehungen zu Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und dem regionalen Netzwerk weit über das normale Maß hinaus.
  • Sie haben eine ungewöhnlich vertrauliche Arbeitsumgebung für die Mitarbeiter geschaffen.
  • Sie haben individuelle Unternehmensstrukturen entwickelt, die meist in keinem Lehrbuch zu finden sind und trotzdem hervorragend funktionieren.
  • Sie arbeiten mit genau so großer Leidenschaft an der Unternehmenskultur wie am wirtschaftlichen Erfolg.
  • Sie denken in Lösungen und nicht in Problemen.
  • Ihre Produkte und Dienstleistungen sind nicht unbedingt einzigartig, aber genau auf die Bedürfnisse ihrer Kunden abgestimmt.  

Mit solchen Unternehmen macht es Spaß zu arbeiten, weil es leicht ist, eine begeisternde Story weiterzutragen.

Mut zur eigene Story

Auch in ihrer Entwicklung gibt es Fehler und Krisen. Aber gerade in solchen Situationen haben sie unkonventionelle Entscheidungen getroffen, keine oberflächlichen Erwartungshaltungen erfüllt und ihrer Intuition vertraut.

Mut und Kreativität haben sie zu dem gemacht, was sie heute sind. Sie können gar nicht anders, als ihre eigene Story zu schreiben und auf den Vergleich mit anderen zu pfeifen. 

Das Buch von Bo Burlingham „Small Giants: Companies That Choose to Be Great Instead of Big“ beschreibt sehr detailreich die Welt der Klein- & Mittelbetriebe in all ihren Facetten. Seine Recherche beschränkt sich zwar auf Unternehmen in den USA, deren Realitäten sich aber im Kern nicht wesentlich von den europäischen unterscheiden.


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