
Alle im Krisenmodus
Vor mehr als drei Jahrzehnten war ich mit einer Freundin auf einem Surfkurs am Plattensee. Für uns war das damals ein Ausflug in eine andere Welt. Leere Regale in den Geschäften waren wir nicht gewohnt. Es fühlte sich sonderbar an und Urlaubsstimmung wollte dort auch wegen der kasernenartigen Unterkunft keine aufkommen.
Gestern Vormittag beim Billa musste ich wieder an diese Situation denken. Die Vorzeichen sind allerdings andere, ein Virus stellt uns und unser System auf eine harte Probe. Unter diesen besonderen Umständen offenbaren sich menschliche Abgründe.
Der Dame vor mir reichte ein Einkaufswagerl nicht aus. Ich hoffe nur, sie kommt mit den 100 Eiern, den 10 kg Mehl, 20 l Milch und den vier Gurkengläsern eine paar Tage aus. Das Einräumen in ihren VW SUV hat dann eine Weile gedauert. Zum Glück hatte sie ihn vorsorglich unmittelbar auf der Zufahrt nahe dem Eingang geparkt. Sicher ist sicher.
Kommt etwas Schlimmes auf uns zu? Die Folgen des Klimawandels? Oder gar ein Krieg? Nein. Wir müssen uns nur darauf einstellen, uns im Interesse aller einzuschränken, zuhause zu bleiben und unsere Sozialkontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Das sollte doch zu schaffen sein, oder?
Seit meinem Einkauf gestern Vormittag habe ich meine Zweifel und es stellt sich mir die Frage, was größer ist: die Dummheit oder die Gier der Menschen.
Meine aus Aleppo stammenden syrischen Freunde verstehen die ganze Aufregung nicht. Sie kommen ohnehin mit wenig aus. Unser Verhalten ruft bei ihnen bestenfalls Kopfschütteln hervor, denn für alles andere sind sie zu höflich. Sie sind vor einem Krieg geflüchtet, vor Bomben und Heckenschützen, vor Folter und Tod.
Und unsere Gesellschaft? Die macht sich kollektiv ins Hemd. Die Situation ist nicht angenehm und die Verunsicherung verständlich. Schließlich haben wir so etwas noch nie erlebt und die wirtschaftlichen Folgen sind unabsehbar. Aber wir sind nicht im Krieg und wir haben funktionierende verlässliche Strukturen. Alles was wir brauchen, sind Gelassenheit, Geduld, Zuversicht und Disziplin.
Vielleicht täusche ich mich und es sind nicht die selben Menschen, die jetzt mit Hamsterkäufen beschäftigt sind, die noch vor wenigen Tagen über die Menschen in den Flüchtlingslagern in Griechenland und der Türkei geurteilt haben: alles Wirtschaftsflüchtlinge! Dazu kann ich nur sagen: So schnell kann’s gehen.
Standard-Chefredakteur Martin Kotynek beendete seinen gestrigen Kommentar „Wir sind alle Teil der Lösung“ so:
„ Aber: Wenn wir diese Herausforderung gemeinsam gemeistert haben, werden wir als Gesellschaft über uns hinausgewachsen sein. Und bereit sein für noch größere Herausforderungen, wie etwa den Klimaschutz.“
Hoffen wir es!
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